„Du bist nichts wert“, „Du bist schwach“, „Deine Meinung ist uninteressant“, „Das ist peinlich“, „Du bist eine Null“, „Dich nehme ich nicht ernst“ – im Focusing tauchen immer wieder Aspekte auf, die gelernt haben harsch zu kritisieren. Sie können sich diesen bewertenden Anteilen zuzuwenden, um diese mehr zu verstehen; dies ist ein wichtiger Schritt. Oftmals reicht das allerdings nicht aus, denn die Gewohnheit zu bewerten hat ein Vakuum hinterlassen.
Was für ein Vakuum ist gemeint? Sie selbst. Aus der Sicht des Aspekts, der beschämt, bewertet, für nicht wertvoll erachtet oder nicht ernst genommen wurde ist es nicht klar, wer Sie jetzt sind und wie Sie sich in Beziehung verhalten. Nach all den Bewertungen ist da erst einmal: Nichts. Kein Vertrauen. Keine Erfahrung, nicht so zu bewerten.
Versuchen Sie, nett zu sein? Probieren Sie einen Psychotrick - Reframing? Versuchen Sie, Empathie zu „zeigen“? Bleiben Sie im Vagen? - Die Kernfrage aus der Sicht des bewerteten Aspekts ist: Wie verhalten Sie sich? Und ist das real, echt? Sind Sie wirklich daran interessiert es so zu sehen, wie es sich fühlt, wie es ist?
Ein Beispiel: Wertlosigkeit - Solidarität
Hier ein Beispiel aus meiner eigenen Praxis: Immer wieder kamen in mir starke Gefühle von Wertlosigkeit auf, wenn es darum ging mich gegenüber anderen Berufsgruppen zu präsentieren. Im Focusing konnte ich sehen, wie etwas in mir als „wertlos“ bezeichnet wurde.
Aber das reale Gefühl der Wertlosigkeit war nicht auszuhalten. Es ging immer noch darum, es zu verbessern, es nicht so sein zu lassen. Das änderte sich schlagartig, als ich fähig wurde, mich im Focusing für die Perspektive dieses Gefühls zu interessieren, speziell mit der Frage: „Welche Qualitäten (Was) brauchst du eigentlich von mir, damit du so sein kannst, wie du bist?“
Der konkrete Wunsch, ein Vakuum füllt sich
Als Antwort kam zuerst: Bitte stehe auch auf meiner Seite. Dann, später, als Zusammenfassung, das Wort: Solidarität. Dieses Wort kam plötzlich und überraschend und eindeutig. Darum ging es, diese Qualität zu entwickeln; und der Prozess war reif: Ich konnte es hören, annehmen und umsetzen.
Ja, konnte ich innerlich sagen, ich will gerne solidarisch mit dir sein. Du gehörst zu mir. Diese innere Bewegung war zutiefst zufriedenstellend, so als ob sich innerlich etwas auffüllt, was immer im Mangel war. Ein Vakuum hatte sich gefüllt; Ich war da, so, wie es das brauchte.
Die breite Anwendung
Das Wort „Solidarität“ entwickelte sich im Folgenden als wahrer „Renner“ in meinem Leben, gilt es doch in so vielen Beziehungen darum, (wieder) solidarisch(er) zu sein. Das war ein spannender Prozess, der mich von einem einzelnen „Problem“ zu einem viel weiteren, konstruktiven Umgang geführt hat. Ich verstand, wie Solidarität gerade in Konflikten wichtig ist, bei denen sich Teile gegenseitig ausschließen.
Anleitung zur Umsetzung – Eine klare Frage zum richtigen Zeitpunkt
Wie kann dies konkret umgesetzt werden? Immer, wenn Sie bemerken, dass ein wichtiger Aspekt in Ihrem Erleben als __________ bewertet wird, können Sie davon ausgehen, dass für diesen Aspekt ein Beziehungsvakuum entstanden ist: Auch wenn Sie mit dem bewertenden Anteil arbeiten, fehlt danach noch die Klärung Ihrer Haltung; Sie können sich dies auch als weitere Qualität von Präsenz vorstellen.
Ihre Haltung: Das Vakuum füllen, Verantwortung übernehmen
Die Frage ist also, wie Sie selbst zu diesem Aspekt stehen und damit umgehen – und in Folge dessen ist Ihr Interesse daran entscheidend, was ES sich von Ihnen wünscht. Ich würde erwarten, dass dieser Wunsch als eine Notwendigkeit erlebt wird, also dringend und lebenswichtig für es ist. Beispiele: Ernstgenommen werden, Solidarität, Wertschätzung. Nicht mehr lächerlich gemacht, überhört, exkludiert, marginalisiert werden.
Sobald Sie sich also klar darüber sind, was die Bewertung ist bzw. wie die Bewertung stattfindet, dann können Sie eine einfache Einladung/Frage an den bewerteten Aspekt stellen:
Was brauchst DU von MIR ANSTATT der Bewertung ___________ zu sein?
Beispiel: Was brauchst DU von MIR ANSTATT der Bewertung nichts wert zu sein?
Nehmen Sie sich Zeit für diese Einladung und seien Sie präzise: Nach der Einladung kann es in zwei Richtungen gehen.
Was es NICHT MEHR brauchen kann und was es sich wünscht
Entweder bekommen Sie Informationen darüber, was es sich wünscht/braucht. Oder es zeigt Ihnen erst einmal, was es NICHT MEHR brauchen kann (und bis her gewohnt war): „Ich möchte NICHT MEHR lächerlich gemacht werden.“ Es ist hier übrigens egal, von wem diese Bewertung ausgeht, von „etwas in Ihnen“, einer Person in Ihrem Umfeld oder den Umständen, in denen Sie leben.
Wenn Sie ein eingespieltes und erfahrenes Focusing-Tandem sind, dann können Sie das, was NICHT MEHR gebraucht wird aktiv umdrehen. „Ah, was es nicht mehr möchte ist __________ und jetzt geht es darum, __________.“ Nehmen Sie sich viel Zeit, die auftauchenden Inhalte zu dem Wunsch zusammen mit den im Körper auftretenden (subtilen) Gefühlen wahrzunehmen und aufzusaugen wie ein Schwamm. Klären Sie immer im inneren Dialog, ob ES sich schon richtig verstanden fühlt; und wenn nicht, was es stattdessen bräuchte.
