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Tipps & Tricks Nr. 71 – Kann ich bitte endlich einfach nur mal traurig sein!

Sind Sie auch manchmal traurig oder niedergeschlagen? Ich erinnere mich an eine Situation von vor vielleicht 10 Jahren, in der ich mit meiner jetzigen Frau tanzen war. Wir waren eingeladen zu einer Feier in einer privaten Wohnung in Hamburg.


Der Tanzraum war erstaunlich groß und wir tanzen argentinischen Tango, mal zu mehr melancholischer und mal zu mehr freudiger Musik. Während einer Pause kommt eine Bekannte zu mir und sie erzählt mir unter anderem, dass ihre Freundin findet, ich sei „depressiv“ – im Sinne von „das ist schlecht, unnormal, gehört abgestellt“.


Traurig und Niedergeschlagen

Richtig, ich hatte zu der Zeit etwas in mir, das traurig und bisweilen niedergeschlagen war. Mit diesem in intensiven Kontakt kommen zu dürfen war eines der größten Geschenke bisher, denn es half mir, Liebe und Sinn in mir zu finden. Es half mir, weniger abhängig von äußeren Meinungen zu sein.


Etikettiert und abgestempelt zu werden fühlt sich dagegen schlecht und falsch an, weil es keinen Raum und keine freie Bewegung zulässt. Keine Erlaubnis für Interesse und keinen Raum dafür, so zu sein wie es ist. Stattdessen geht es immer nur darum, „normal“ oder „so wie alle“ zu werden, oder zu mindestens irgendetwas zu tun, um „es“ zu verbessern oder zu reparieren.


Angst, sich der Traurigkeit wirklich zuzuwenden

Im Focusing mit Aspekten dieser Art gibt es einen Punkt, an dem klar wird, dass da Angst ist. Angst davor, sich der Traurigkeit wirklich zuzuwenden, denn, wer weiß, vielleicht wird es dadurch noch viel schlimmer oder wird womöglich für immer so bleiben.


Es gibt oft solche inneren Aspekte, die dieser Überzeugung sind: „Wenn du dich der Traurigkeit zuwendest, dann wird es immer so bleiben. Dann wird es ganz schlimm werden. Du musst etwas tun, damit das besser wird.“ – und dies passiert nicht ohne Grund. Denn nur das Gefühl der Traurigkeit zu fühlen kann tatsächlich dazu führen, dass es Ihnen immer schlechter geht.


Zuwenden ist anders

Im Focusing dagegen geben Sie Raum und gehen mit Etwas in Ihnen in Kontakt, das im Moment so traurig ist. Dann kommt Ihnen vielleicht eine Stimme entgegen, die sagt: „Kann ich bitte endlich einfach nur mal traurig sein!“. Dieser Aspekt braucht Sie, um die Traurigkeit zu spüren, die es schon so lange hält. Es fordert diesen Raum vielleicht schon seit Jahrzenten ein, ohne ihn je bekommen zu haben.


Beschreiben Mitfühlen sein lassen

Sie können es unterstützen, in dem Sie detailliert beschreiben; und zwar nicht „von oben“ herab (ähnlich wie das Etikettieren), sondern als ob jede einzelne Beschreibung dazu dient, wirklichen Kontakt herzustellen. Jedes Beschreiben ist gleichzeitig Mitfühlen und Dabeisein und Raumgeben.


Sie selbst fallen nicht hinein in die Traurigkeit, sondern Sie sind in intensiver Weise dabei und begleiten es auf seiner Reise. Dadurch erlebt es echten Raum, echte Akzeptanz, und kann so bleiben, wie es ist.


Und wenn es endlich einfach nur mal so bleiben kann, wie es ist, dann wird es sich bewegen und verändern und wachsen; in seiner eigenen Geschwindigkeit. Dem zu folgen ist dann gleich Ihrem Interesse, ein Leben zu haben, in dem Raum gelassen wird anstatt weiter Druck zu machen und abzustempeln. Und das ist Ihre Entscheidung.

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