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Tipps & Tricks Nr. 69 – Wie werde ich weniger von starken Gefühlen überrollt?

Jemand stellt folgende Frage:


„Ich erlebe auch im Focusing oft starke Gefühle, die mich überrollen. Gibt es Erfahrungen damit, wie ich mich in solch einer Situation verhalten kann? Und wie kann meine Begleitung mich dabei unterstützen?"


Vielen Dank für diese Frage. Die Arbeit mit starken Gefühlen ist sehr interessant, und am Anfang der Reise kann es oft beängstigend wirken. Später kann es sein, dass Sie sich fast nicht daran erinnern können, wie eine derart vertrackte innere Situation sich überhaupt angefühlt hat.


Was passiert eigentlich, wenn Sie überrollt werden?

Lassen Sie uns erst einmal einen Blick auf das Erleben werfen, wenn Sie überrollt werden. Folgende Charakteristika sehe ich, wenn ich einen Focusing-Prozess mit starken Gefühlen begleite. Vielleicht erkennen Sie diese Punkte zum Teil wieder.

  • Große Schnelligkeit. Das Gefühl baut sich blitzartig auf oder wirkt wie eine sehr schnell heraneilende Welle. Es ist einfach da, und Sie haben keine Zeit, sich zu sammeln.

  • Oberflächliche Beschreibungen. Die wenigen Beschreibungen, die Sie für das Gefühl finden, bleiben oberflächlich. Letztlich ist es „schon wieder“ und „nur dieses“ Gefühl; und Sie fühlen sich nicht in der Lage, es genauer zu beschreiben oder die Passung der Beschreibungen mit dem Gefühl abzugleichen.

  • Wenig Differenzierung. Innerhalb des Gefühls scheint es keine differenzierten Abläufe zu geben. Es ist wie eine Wand, eine Welle, eine Verwirrung, ein Wirbel, ein Wüten.

Sie selbst erleben in solch einer Situation wohl wenig Offenheit oder Neugierde, dieses Gefühl kennenzulernen. „Alles“ sträubt sich dagegen, versucht davon wegzukommen oder es zu kontrollieren.


Distanz und Beziehung

Es gibt einige wichtige innere Bewegungen, um sich in Situationen dieser Art neu zu orientieren und wieder handlungsfähig zu werden.

  • Sich zuwenden. Der Akt des Sich-zuwendens ist im Focusing sehr wichtig. Sie machen sich klar, dass eine Beziehung nur funktioniert, wenn Sie innehalten und sich zuwenden. Dies sind bewusste Entscheidungen und ein aktiver Schritt. Oft hilft es, die Zuwendung wirklich wie eine langsame Bewegung des Körper, des Kopfes, der Augen, des Augenkontakts zu erleben. Seien Sie detailliert und gehen Sie langsam vor. Vielleicht müssen Sie vor der Zuwendung innerlich noch einen Schritt zurücktreten oder auf Augenhöhe kommen.

  • Anerkennen 1. Erkennen Sie an, dass etwas in Ihnen mit all diesen Gefühlen da ist, existiert. Dies ist oft nur unter Schwierigkeiten möglich. Sie können dann mit Ihrer Aufmerksamkeit zu dem Aspekt in Ihnen pendeln, der nicht möchte, dass Sie die Existenz dieses Aspekts anerkennen. Hier geht es oft um die Sorge, dass das entsprechende Gefühl niemals aufhören wird.

  • Anerkennen 2. Erkennen Sie an, WIE etwas in Ihnen ist, das diese starken Gefühle hat. Hier geht es oft darum, dass Sie die Intensität sehen können und all das, was der Aspekt über die Jahre für Sie gehalten und geleistet hat.

  • Detailliertes Beschreiben. Stellen Sie sich vor, dass Sie, wie in Zeitlupe, alles aber auch alles beschreiben, was passiert. Sie sind dies nicht gewohnt. Bemerken Sie daher besonders die Dinge, die Sie mit einem „ist nicht wichtig“ übergehen. Bleiben Sie dabei, alles im Detail zu beschreiben. Dieses Vorgehen ist so, als ob Sie durch das Beschreiben alle oben genannten Ansätze gleichzeitig verwirklichen: Zuwendung, Anerkennung der Existenz, Anerkennung der Eigenschaften. Durch das detaillierte Beschreiben versteht ES vielleicht zum ersten Mal, dass es Platz und Berechtigung in Ihrem Leben hat.

Die Arbeit mit sich selbst

Letztlich ist die Arbeit mit starken Gefühlen gerade auch eine Arbeit daran, selbst wieder aufzutauchen. Denn wenn Sie sich nur auf das Gefühl konzentrieren, welches Sie überrollt, so ist es wahrscheinlich, dass etwas in Ihnen ist, das sehr große Angst vor diesem Gefühl hat. Handeln Sie aber aus dieser Angst heraus (auch im Focusing), so können Sie die oben genannten Punkte nicht durchführen.


Deshalb ist es unerlässlich, dass Sie sich fragen: Gibt es etwas in mir, das Angst hat vor diesen Gefühlen? Kann ich diesem Anteil ruhig und empathisch begegnen, indem ich mich für dessen Sorgen interessiere? Wenn ja, können Sie die oben genannten Punkte auch mit diesem Aspekt umsetzen? Und können Sie offen dafür sein, dass das Sie überrollende Gefühl in seinem Wesen vielleicht ganz anders ist, als wie Sie es gewöhnlicherweise wahrnehmen?


Ich empfehle Ihnen, dass Sie sich in einer solchen Situation begleiten lassen. Die Begleitung sollte sich in dem IR Focusing auskennen und Ihnen insbesondere helfen, sich immer wieder zuzuwenden sowie möglichst langsam und detailliert alles zu beschreiben – und Sie anhalten, den Beschreibungen und Reflektionen präzise nachzuspüren.

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