Jemand stellt folgende Frage:
„Wenn ich jemandem im Focusing begleite, kann es vorkommen, dass ich denke ‚Oh, das ist schrecklich, das kann ich doch nicht reflektieren!‘ Ich weiß nicht, wie ich am besten damit umgehen kann; bisher habe ich es in solchen Situationen tatsächlich vermieden, zu reflektieren."
Vielen Dank für diese Frage. Sie beschreiben ein Dilemma, das sich recht einfach lösen lässt. Sobald Sie einen Focusing-Prozess begleiten, gelten andere Regeln als gewohnt. Diese Regeln dienen der Sicherheit und Klarheit.
Sie als Begleitung übernehmen keine Verantwortung für den Prozess des Focusers. Und deshalb arbeiten Sie auch nur mit Menschen, die diesen Prozess aktiv für sich selbst gelernt haben – und wissen, wie man Verantwortung für das Eigene übernimmt.
Es ist also klar, dass Sie weder einen Fehler machen, WENN Sie etwas reflektieren noch wenn Sie es sein lassen. Allerdings fühlen Sie sich ja nicht wohl in Ihrer Haut, weil Sie eine eigene, heftige Reaktion („schrecklich!“) erleben.
Reaktionen
Und natürlich kommt es zu Reaktionen auch in Ihnen, der Begleitung. Im besten Falle können Sie deshalb am Ende einer Focusing-Sitzung folgende Fragen beantworten:
Was hat diesen Prozess zu begleiten bei mir ausgelöst? In welche meiner Themen ist Bewegung gekommen? Was habe ich für mich gelernt? Womit möchte ich für mich weiterarbeiten?
Wenn Sie zum Beispiel an einer Stelle etwas „schrecklich“ finden, dann können Sie dies während der Sitzung wahrnehmen, innerlich begrüßen und vielleicht auch kurz notieren.
Erleichterung
Es gibt ein Phänomen im Focusing, das eng damit zusammenhängt, wie echte Veränderung eigentlich passiert: Wenn Sie im Focusing die Worte dafür finden, was Sie immer schon ausdrücken wollten; wenn Sie die Kraft finden, ehrlich auf den Punkt zu bringen, worum es wirklich geht; oder wie es sich anfühlt; oder was es möchte – ja, dann können das vielleicht erschreckende Bilder sein, aber anstatt eines Schreckens tritt immer Erleichterung auf.
„Ja, so ist es!“ - „Endlich hat das mal jemand gesagt“ – „Ich bin so erleichtert, dass das endlich mal SO ausgedrückt wurde.“ – „Es ist, als öffne sich ein Fenster.“ – „Das wurde auch mal Zeit“ … Dies sind die Reaktionen, die ich kennen, wenn ich in der Begleitung einer Person helfe, sich den „erschreckenderen“ Aspekten des eigenen Erlebens zuzuwenden und ehrlich und aufrichtig zuhören, anstatt weiter zu bewerten.
Die eigenen Anteile
Wenn Sie also mit etwas in Ihnen arbeiten, dass manche Dinge „schrecklich“ findet, dann fragen Sie vielleicht einmal (bei sich) nach, ob da eine Sorge ist. Vielleicht die Sorge, dass diese Worte etwas für die Person zerstören, eine „heile Welt“ in Frage stellen, oder unhöflich und fehl am Platz sind. Oder vielleicht ist da etwas in Ihnen, dass immer auf der Hut ist, nichts „Beschämendes“, „Schlechtes“ zu reflektieren – bloß nicht in einen Konflikt zu geraten oder diese Dinge überhaupt zu sehen.
Starke, kritische Bewertungen sind hier wahrscheinlich im Spiel; und die Focusing-Begleitung ist eine gute Rolle, um diese Reaktionen in Ruhe kennen zu lernen und anzuerkennen. Sie können diese Moment auch im Nachhinein mit Ihrer Focusing-Partnerin besprechen, um herauszufinden, wie es denn war, dass scheinbar Schreckliche gespiegelt bekommen zu haben. Ich bin gespannt, welche Antworten Sie dann hören werden.