Jemand stellt folgende Frage:
„Ich beschäftige mich schon in Therapiesitzungen mit mir selbst bzw. habe andere Methoden (z.B. Achtsamkeitsübungen), die ich für mich anwende. Jetzt interessiert es mich, Focusing zu erlernen. Ich zögere aber, weil ich mir Sorgen mache, dass Focusing eine zusätzliche Belastung sein könnte.“
Vielen Dank für diese Frage. Focusing zu erlernen sollte natürlich keine zusätzliche Belastung darstellen. Sie investieren Zeit, um sich selbst in etwas zu vertiefen und um zu verstehen, wie dies in den verschiedenen inneren Dynamiken am besten funktioniert. Das Ergebnis einer Focusing-Sitzung ist in der Regel mehr Raum und Klarheit.
Trotzdem gibt es Beispiele dafür, dass Focusing falsch verstanden wird und deswegen ein Konflikt oder eine Belastung daraus entsteht. Ich möchte hier einmal vier Beispiele dafür herausgreifen:
1. Schnelle Lösung statt annehmender Begleitung
Mit Focusing können Sie zu überraschend schnellen Lösungen kommen, wenn Sie sich auf die spezielle Art der Methode einlassen (Langsam vorangehen, bei sich bleiben, genau untersuchen, etwas auftauchen lassen). Schnelle Lösungen sollten aber nicht erwartet werden. Die verbreitete Logik von „Schnell = Effektiv“ gegen „Langsam = Uneffektiv“ wird im Focusing außer Kraft gesetzt.
Es kann zur Belastung werden, wenn Sie Focusing – ohne es zu bemerken - aus einem Anteil heraus praktizieren, der ständig sagt „Was soll das jetzt, komm endlich zu einer Lösung!“. Sie spüren dann Druck, der zu einer zusätzlichen Belastung wird. Wenn Sie Focusing richtig anwenden, dann wenden Sie sich dem Druck selbst zu und beginnen ein tiefsitzendes Muster mit neuen Augen und annehmender Begleitung zu sehen.
2. Idealer Zustand statt inneren Handelns
Manchmal kommt es vor, dass Focusing gleichgesetzt wird mit der Erreichung eines „idealen Zustandes“; zum Beispiel ständiges Glück, Gelassenheit, Zufriedenheit oder Konfliktfreiheit. Wenn Sie solch einen Zustand zu erreichen versuchen, dann werden Sie leicht enttäuscht werden; abgesehen davon, dass solch ein Anspruch sehr belastend sein kann.
Wie im vorherigen Beispiel praktizieren Sie in solch einem Fall Focusing aus einem Teil heraus – und dieser Teil würde dann etwa sagen: „Ich will __________ nicht mehr fühlen / nicht mehr in meinem Leben haben.“ Hilfreicher ist es, sich diesem Anteil interessiert zuzuwenden, anstatt sich damit zu verbünden. Dies ist der einzige (mir bekannte) Weg, um aus solchen Kämpfen auszusteigen. Wenn Sie jetzt denken „Aber was soll Focusing denn dann bringen?“ , dann könnte Focusing tatsächlich etwas für Sie sein :)
3. Wissensanhäufung statt regelmäßiger Anwendung
Allein die Theorie des Inner Relationship Focusing kann positive Effekte haben, z.B. wenn zum ersten Mal das Konzept der Präsenz verstanden wird. Es entsteht Erleichterung: „So kann ich das auch sehen.“
Andererseits kommt es häufiger als mir lieb ist dazu, dass ausschließlich in den relativ kurzen Kursen gelernt wird. Die Kurse sind zwar eine Mischung aus Theorie und Praxis; dennoch fehlt des Öfteren die konkrete und mittelfristige Anwendung in Focusing-Sitzungen. Wer zum Beispiel nach den IR Focusing Einsteigerpaket die 10er-Karte Einzelsitzungen mit mir bucht, kommt deutlich einfacher in die Erfahrung von Präsenz und den Genuss konstruktiver Veränderung; einfach deshalb, weil ich den Weg dorthin noch einmal „live“ zeigen kann.
Nur das Wissen „So KÖNNTE es sein“ kann in der Kombination mit hohen Ansprüchen („Warum KANN ich das nicht?“) zur Belastung werden. Sobald ein tieferer Einstieg in die Praxis des Focusing geschieht, so entsteht eine größere Zufriedenheit, weil dann das innere Fließen und Kommunizieren das eigene Stocken und Reagieren überwiegt. (Nur Praxis ohne weitere Theorieentwicklung kann übrigens genauso belastend sein, weil dann die Gefahr besteht, dass man sich jahrelang im Kreis dreht ohne zu wissen, was man tut.)
4. Methodenkonflikte
Wenn Sie unterschiedliche Methoden nutzen möchten, so können Fragen entstehen wie „Passen diese Methoden zusammen?“ oder „Belaste ich mich, wenn ich noch eine neue Methode lerne?“. Focusing wird zwar gerne als Methode bezeichnet; dies ist auch korrekt, aber gleichzeitig wird im Focusing eine spezielle Form inneren Handelns eingeübt. Mit der Zeit entsteht dadurch eine Haltung, die Sie innerhalb anderer Methoden verwenden können.
Nehmen Sie zum Beispiel Ihre Therapiesitzungen: Wenn Sie während des Therapiegespräches innehalten und sich wahrnehmen können, so profitieren Sie höchstwahrscheinlich mehr davon, als wenn dies nicht der Fall ist. Gleiches gilt für jegliche andere Methode: Sobald Sie sich selbst wirklich dabeihaben können Sie anders innerhalb der Methode selbst navigieren. Focusing ist dann keine zusätzliche, separate Methode, sondern integriert in Ihr Handeln.