Es ist leicht, unangenehme Wahrheiten mit allen möglichen Tricks zu vermeiden. Leider bleibe ich dadurch Gefangener genau dieser Wahrheiten. Hier ein Beispiel von heute.
Heute habe ich im Focusing zu meinem 8-jährigen Sohn gearbeitet und wie es ihm (aus meiner Sicht) in der Schule geht. Wenn ich in mich hineinspüre, so fühlt sich mein Körper stabil, leicht und durchlässig an; sobald aber das Thema „Schule“ aufkommt, so schießt Angst in den Bauch. Etwas später sind die Sorgen und die Angst auch im Herzen; etwas in mir hat Angst davor, dass er gehänselt wird, sich unwohl fühlt, überfordert ist – oder? Was ist hier los?
Bei näherem Hinsehen zeigt sich eine erst einmal unangenehme Wahrheit: Es ist in mir. Aus der Angst, „schlecht“ bewertet zu werden, entsteht in einem weiteren Schritt Druck; und dann das deutlich spürbare Bild von in den Körper eingewebten Stahldrähten.
Diese in den Körper eingewebten Stahldrähte sind nur im allerersten Moment erschreckend. Dieser Moment wäre aber „normalerweise“ ausreichend, um davor zurückzuschrecken und es wegzudrücken. Durch die Art und Weise aber, wie ich mir im Focusing begegne – Raum gebend, absichtslos, beschreibend, offen – bekommen diese Stahldrähte eine Existenzberechtigung.
So muss ich den Schmerz und die Angst aus meiner Schulzeit nicht auf meinen Sohn projizieren. Stattdessen werde ich in diesem Moment von den Drähten befreit: Es darf so sein, wie es ist.
Es ist spürbar, wenn solch eine Art Befreiung stattfindet. Die Aufmerksamkeit und der Raum werden von dem verängstigten Anteil in mir als sehr angenehm und nährend wahrgenommen. Es können neben Erleichterung und Entlastung auch Gefühle der Freude oder Öffnung aufkommen.
Ich habe mit vielen Klienten ähnliche Themen bearbeiten dürfen, und kenne die Folgen dieser Erleichterung und Entlastung.
Die Angst- und Stressreaktionen in aktuellen Konfliktsituationen fallen von mir ab; ich kann wieder sehen, was wirklich passiert (in diesem Falle: Wie geht es meinem Sohn wirklich?);
Ich kann wieder klar denken und neue Strategien entwickeln (z.B. in vermeintlichen Prüfungssituationen, wie einem Bewerbungsgespräch);
Ich kann alte Gewohnheiten erkennen (Opfer von Bewertung zu sein, selbst zu bewerten) und neue aufbauen (meine Stärken verstehen, für mich einzustehen).