Die gesamte Situation, der Moment, in dem ich als Kind geschlagen werde, verändert alles. Es kann sein, dass Sie auch heute noch denken, dass das damals doch „normal“ gewesen ist. In den Focusing-Sitzungen, die ich begleite, bekomme ich dagegen ein ganz anderes Bild: Komplexe Schwierigkeiten im Erwachsenenalter hängen jetzt und hier an der immer noch aktuellen Erfahrung, geschlagen worden zu sein, und der Erwartung, wieder und wieder tief verletzt zu werden.
In den ersten Sitzungen bleibt dies sehr leicht unerkannt. Zu subtil sind die Zusammenhänge von Schwierigkeiten im heutigen Alltagsleben zu dieser alten, gut verdrängten Erfahrung, geschlagen worden zu sein.
Unverstandene Auslöser für unverstandene Reaktionen
Jemanden zu kritisieren, kritisiert zu werden, im Konflikt mit jemandem zu stehen …. Verschiedenste „normale“ Situationen können zum Auslöser für einen inneren Sturm werden, der überschwemmt, lähmt, hilflos macht. Das ist viel Futter für die Focusing-Prozesse und eine gute, langsame Annäherung an den Kern und die Wurzel all dieser Schwierigkeiten.
Ab einem bestimmten Punkt wird es dann klarer. Es zeigt sich ein Muster, und es kann herausfordernd sein, diesem wertschätzend, liebevoll und geduldig gegenüber zu sein.
Ihr Körper ist alarmiert und unter Hochspannung (evtl. nur in Teilen, z.B. dem Bauch)
Sie erleben ein Gefühlsmix aus Wut, Angst, Hilflosigkeit, Scham
Es ist, als ob andere auf Sie zeigen, Sie angreifen und Ihnen die Schuld geben
Sie werden eventuell für eine Zeit lang handlungsunfähig und starr
Es ist eventuell schwer, sich zu konzentrieren oder sich erinnern zu können
Sie erleben Schuld und fühlen sich nach der Situation noch für Stunden oder Tage niedergeschlagen
Erleichterung der Spannung und der Gefühle
Erst wenn klar wird, dass etwas in Ihnen tatsächlich ERWARTET, dass Sie gleich geschlagen werden, kann sich Erleichterung anfangen auszubreiten. Dies zu artikulieren wird gerne als Wendepunkt erlebt. Endlich sind all diese Symptome nicht mehr nur Probleme – sondern machen auf einmal Sinn. Endlich werde ich hiermit gehört und gesehen. Endlich muss das nicht mehr versteckt, vermieden oder als „normal“ bezeichnet werden.
Vermeidung erkennen
Es wird dann im Laufe der Zeit klarer und klarer, wie als Teil dieser Muster ständig versucht wird, bestimmte Situationen zu vermeiden; zum Beispiel andere Menschen scheinbar gegen sich aufzubringen oder etwas „Schlechtes“ zu tun.
Noch quälender als die starken Gefühle, die Hilflosigkeit und die Hochspannung im Körper kann die gefühlte Schuld sein. Denn als Kind kann es leicht passieren, dass die Schuld komplett auf die eigenen Schultern genommen wird („Ich war so schlecht/böse, dass die Eltern so wütend werden mussten und mich schlagen mussten.“) und ich mich im wahren Sinne des Wortes völlig niedergeschlagen fühle – und im Focusing geht es darum, schrittweise eine neue Beziehung zu diesem inneren Geschehen zu finden.
Geduld, Wertschätzung, Anerkennung
Die Entwicklung von Wertschätzung und Anerkennung den einzelnen Aspekten und Anteilen gegenüber ist ein Schlüssel für die weitere positive Entwicklung. Nur wenn ich nicht noch zusätzlich versuche, die schmerzenden Erfahrungen zu verdrängen oder es immer „gut“ zu machen, kann ich an einen Punkt kommen, an dem ich klar sehen kann:
Ich spüre etwas in mir, dass die Erfahrung geschlagen worden zu sein hier und jetzt hält. Ich nehme mir Zeit, mich diesem wertschätzend und liebevoll zuzuwenden.
Ich nehme außerdem wahr, wie etwas anderes in mir erwartet oder Sorge hat, jetzt gleich wieder geschlagen zu werden und reagiert mit Hochspannung, Selbstschutz, Vermeidung
Ich kann in jeder Situation, in der ich Anzeichen solch einer Reaktion erkenne, in Kontakt mit diesen beiden Anteilen kommen und auch wissen: „Ich werde hier tatsächlich NICHT geschlagen.“
Alleine der letzte Satz, sich also klarzumachen, dass ich gerade tatsächlich NICHT geschlagen werde, kann helfen, in eine bessere Beziehung mit den Anteilen und der gesamten Situation zu kommen.