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Tipps & Tricks Nr. 112 – Im Passiven das Aktive erkennen

In Focusing-Sitzungen tauchen Themen meist so auf, wie wir sie auch normalerweise wahrnehmen. Ich erlebe etwas Leidvolles, und ich bleibe im Passiven: Es geschieht mir, ich erleide es. Leid wird deshalb oft passiv formuliert, zum Beispiel „Etwas in mir wird zusammengeschnürt“, „Etwas in mir ist isoliert“, „Etwas in mir fühlt sich zerrissen“. Wie aber komme ich zu einem vollständigeren Bild?


Meiner Erfahrung nach ist es wichtig, zuerst mit diesen Sätzen oder Bildern zu arbeiten ohne sie zu verändern. Dadurch können sie sich entfalten und anerkannt werden. Ich kann das Leid sehen, was ein Teil von mir erlebt.


Der aktive Teil

In späteren Sitzungen tauchen oft vervollständigende Aspekte auf, die nicht selten einen Durchbruch in der Thematik bringen. Warum? Weil sie aktiv sind. Sie beschreiben etwas in mir, das den leidvollen Zustand aktiv aufrecht erhält oder erzeugt. Wenn dieses aktive Zutun ins Bild kommt, gibt es oft eine Entspannung und eine Veränderung: „Ach so ist das!“


Wenn ich das Aktive im Passiven erkennen kann, dann entsteht oft so etwas wie eine neue innere Handlungsfähigkeit. Ich kann erkennen, wie etwas in mir aktiv (und ohne es zu wollen) zu dem Leid beiträgt. Ich kann diesen Aspekt einladen, versuchen ihn und seine Wünsche zu verstehen und vielleicht sogar anzunehmen.


Ich kann dann formulieren und spüren:

  • Etwas in mir schnürt dies zusammen / Etwas in mir möchte dies noch weitere zusammenschnüren

  • Etwas in mir isoliert dies / Etwas in mir möchte dies noch weiter isolieren

  • Etwas in mir zerreißt dies / Etwas in mir möchte dies noch weiter zerreißen

Beide Seiten anhören

Ich werde mir durch dieses vollständigere Bild eines tief empfundenen, inneren Kampfes gewahr – und bekomme dadurch zum ersten Mal die Möglichkeit, dass beide Seiten gehört werden in ihren Erfahrungen, Gefühlen, Intentionen.


Im Laufe der späteren Focusing-Sitzungen stellt sich dann oft heraus, wie beide Aspekte zwar fundamental anders erscheinen, in der Tiefe jedoch Vieles miteinander teilen – und sich über die Zeit versöhnen können.


Durch das geduldige und liebevolle Zuhören lernen sich beide Aspekte quasi neu kennen und fangen an, an einem Strang zu ziehen anstatt sich gegenseitig zu blockieren.

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