Es ist leicht zu vergessen, dass es um die Entwicklung von Neuem geht, wenn ich nach innen lausche; zu verlockend ist es, bei den alten Gefühlen zu verbleiben ohne offen dafür zu sein, was eigentlich daraus entstehen möchte. Vergangenes und Zukünftiges sind gleichzeitig jetzt gerade da, spürbar, entwicklungsfähig. Es kommt nur darauf an, wie ich mit diesen Möglichkeiten und Richtungen umgehe.
Meine Zeit in Dänemark ist dafür ein gutes Beispiel, weil es zeitlich so klar abgegrenzt ist. So, wie ich vor fünf Jahren in Dänemark ankam, hätte ich leicht verbleiben können: Ich fühlte mich schnell überfordert und lebte sehr zurückgezogen. Mir fehlte die Sprache, ich war überrascht von den kulturellen Unterschieden, mir fehlte mein Netzwerk in Deutschland, ich musste mich beruflich von Null aufstellen und ich war gerade Vater geworden.
Ich war überrascht, wie heftig meine emotionalen Reaktionen waren. Wäre ich im Innern fixiert gewesen auf meine Gefühle im Zusammenhang mit meiner alten Identität – als Deutscher unter Deutschen – ich wäre in Gefahr, ein verbitterter Mensch zu werden. Dann würde ich die alte Identität nur verlieren, ohne aber etwas Neues für mich zu entwickeln.
Was kann ich daraus für die Zukunft lernen?
Stattdessen habe ich im Focusing immer daran gearbeitet, meiner momentanen Wahrheit direkt ins Gesicht zu schauen und zu verstehen: Was bedeutet dies für mein weiteres Leben? Was kann ich aus dieser Situation, aus diesem Problem, aus dieser Reaktion lernen? Jeden Tag konnte ich mich aufs Neue fragen: Was ist heute möglich, was gestern noch unmöglich erschien?
Präzision
Interessant an dieser Art, mit etwas Zukünftigem zu arbeiten, ist die Präzision. Mir war immer klar, dass ich die Lösung, die ich von anderen Ausländern gehört habe, für mich unpassend fand. Ich höre und erlebe zum Beispiel, dass andere Ausländer ihre Sprache einfach aufgeben, manchmal fiel auch das Wort „aufopfern“.
Ich habe angefangen, sehr genau damit zu arbeiten, wie ich leben möchte – oder: was sich richtig und passend anfühlt, was sich mir zeigt, ohne den Anspruch „so muss es dann immer sein“ zu haben. So ist es mir zum Beispiel wichtig, beide Kulturen in unserer Familie zu pflegen.
Wenn alte Kategorien anfangen unpassend zu werden
Auch merke ich, wie meine nationale Identität sich ganz langsam neu formt, irgendetwas in Richtung „international“ oder „deutsch-dänisch“ …. Und oft habe ich das Gefühl, dass diese Kategorien gar nicht mehr passen. Eher etwas völlig anderes …
In machen Momenten wird mir dann klar: Ich bin einfach nur ein Mensch, der eine kurze Zeit hier auf Erden lebt; ein einfacher Mensch, der in der Verbindung mit anderen Menschen aufblüht und voller Wunder und Schmerz auf das Leben und den Tod blickt.
Sobald diese Identität auftaucht, dann freue ich mich darüber, immer weiter gegangen zu sein – und bin gespannt, wie es weitergehen wird.