Händewaschen kann inzwischen jede und jeder. Je nach Zweck ist die Routine 9-12 Schritte lang und in 20-60 Sekunden erledigt - und Ihre Hände sind sauber. Psychohygiene dagegen ist weitgehend unbekannt. Für mich ist dies ein wichtiger Teil meines Lebens, und ich weiß von vielen meiner Klientinnen und Klienten, dass sie Focusing in diesem Sinne einsetzen.
In einer langfristig unklaren und bedrohlichen Situation wie jetzt gerade mit Covid-19 kommt es natürlich leicht dazu, dass sich Ihre Gefühle und Gedanken in Ihnen "anhäufen".
Gerade weil die Situation VOLLKOMMEN NEU ist für uns alle sind unsere Reaktionen komplex und diffus.
Wir wissen noch gar nicht, wie es uns wirklich geht; was sich wirklich abspielt. Ob es eine Gefahr gibt.
Wir verstehen noch nicht wirklich, wer ich in all dem bin und sein mag; und was braucht es, woran fehlt es, was wird möglich?
All das Neue und Unbekannte dieser Situation möchte so gerne gefühlt und in Worte gefasst werden.
In meiner Praxis höre ich von so vielen Reaktionen; von Erleichterung bis hin zur tiefen, existenziellen Angst. Ich höre von der Wichtigkeit des Lebens, von der Verbundenheit - und genauso von der Angst vor Isolation und räumlicher Distanzierung.
Jede und jeder hat in solch einer Sitzung nicht nur ein Gefühl, sondern viele verschiedene Reaktionen und Nuancen; dies ist im Übrigen eine Ressource, die es nicht nur in Krisen zu erkennen und zu pflegen gilt!
Was gewinne ich, wenn ich Psychohygiene mit Focusing praktiziere? Meiner Erfahrung nach gewinnen meine Klientinnen und Klienten Folgendes: Sie bleiben auch unter Belastung ...
Durchlässig. Erlebtes bleibt nicht in mir kleben, friert nicht in mir ein und löst kein Grübeln, keine Hektik, Angst oder vorschnelles Handeln aus.
Zugewandt. Erlebtes wird gewürdigt, zuende gefühlt, verstanden, begleitet und akzeptiert.
Flexibel. Ich bleibe aktiv, wach, handlungsfähig und erarbeite mir verschiedene Möglichkeiten, wie ich reagieren/handeln könnte.
Offen. Ich bleibe neugierig und offen, und ich kann Veränderung unkommentiert wahrnehmen, ohne dass ich eingreifen muss. Wenn ich überrascht werde davon, was sich in mir wirklich abspielt, dann bin ich angekommen.
Langsam und erdverbunden. Ich bleibe relativ langsam, geerdet und mit mir verbunden. Ich lasse mich nicht fortreißen von Hektik, Screens, Feeds oder Schlagzeilen.
Gesammelt. Das Spüren des Körpers und meiner Atmung hilft mir, mich immer wieder zu sammeln und zu verbinden.
Vollständig. Ich erkenne mehr und mehr die Vollständigkeit meiner Gefühle und Gedanken, anstatt bestimmte Gefühle zu bekämpfen und abzuwerten. Das ist ungemein entspannend und motivierend.
Einfach und Klar. Ich muss nichts Kompliziertes tun, und es muss kein Drama sein. Eine liebevolle Aufmerksamkeit reicht; eine Hand auf dem Körper, dort wo es mir nicht gut geht. Eine klare Grenze, wo es nötig ist. Ein Plan, wo ich anfange zu schwimmen. Nach Hilfe fragen, wenn ich Hilfe brauche. Hilfe anbieten, wenn ich dazu in der Lage bin.
Für das Händewaschen brauchen Sie nur Seife und Wasser; und Psychohygiene und Selbstfürsorge können manche Menschen sicherlich auch einfach "von sich aus"; sie hatten also das Glück, dieses Verhalten gezeigt zu bekommen.
Bei Vielen von uns war das leider nicht der Fall! Auch ich musste mich darum bemühen, meine alten Muster zu erleben und zu verstehen, mich durchkämpfen.
Deshalb hoffe ich, dass dieser Text Sie dazu inspiriert, in der aktuellen Lage ein Augenmerk für Selbstfürsorge und Psychohygiene zu bekommen, in welcher Form auch immer. Für mich war und ist Focusing der Königsweg dazu; und wer weiß, welches Vorgehen zu Ihnen passt.