Mit der „inneren Stimme“ wird meist das bezeichnet, was einem z.B. im Focusing entgegenkommt, sei es in Form von Worten, Bildern, Gefühlen oder Körpersensationen. Es gibt jedoch noch eine weitere „innere Stimme“, die oft vernachlässigt wird und doch entscheidend dafür ist, ob und wie sich das entfalten und lebendig werden kann, was in mir entstehen möchte.
Diese zweite innere Stimme ist Ihre eigene Stimme. Es ist die Stimme, die Sie hier und jetzt im Innern „hören“, wenn Sie diese Zeilen lesen.
Mit Hilfe dieser Stimme setzen Sie das um, was Sie im Focusing lernen: Die konkrete Ansprache dessen, was in Ihnen auftaucht. Die Einladung, die Kontaktnahme, die Begleitung, die Begegnung, der Dialog.
Sie sagen dann zum Beispiel in Stille „Ich kann dich sehen!“ und „Da ist etwas in mir, das …“ und „Ich nehme mir Zeit, wahrzunehmen was du benötigst.“ Oder „Ich nehme mir Zeit, bei dir zu sein und dir zuzuhören.“ Oder „Ich würde gerne bei dir verweilen und dich besser kennen lernen“ oder „Ja, so ist es, ich verstehe.“
Mit noch wenig Erfahrung
Nur mit welcher Stimme sagen Sie all dies genau? Wenn Sie Focusing anfangen zu lernen, dann ist diese Stimme vielleicht noch gekünstelt, unsicher, ohne Erfahrung. Sie ist dann vielleicht nicht entgegenkommend, sondern von Zweifel unterlegt, mechanisch, leer, oder von anderen Anteilen in Schach gehalten, die ungeduldig sind oder voller Bewertungen.
In meiner Erfahrung fällt diese Stimme auch immer wieder komplett weg, so als ob sie nicht geachtet wird oder unwichtig erscheint. Das, was eigentlich ein innerer Dialog hätte sein können, ist dann nur eine Folge von Beschreibungen von „Dingen“ oder „Problemen“, die ohne eine interessierte Person – Sie – auskommen müssen.
Ich nenne das gerne "Kino", weil alles nur auftaucht und wieder wegfällt, ohne dass Sie auch da waren und dem mit einer offenen und inetressierten Haltung entgegenkommen.
Mit schon etwas mehr Erfahrung
Mit der Übung kommt die Erfahrung; und die innere Stimme, mit der ich auf das zugehe, was in mir auftaucht wird deutlicher. Ich erkenne dann, dass diese Stimme das ist, was ich beitragen kann; einerseits durch das, was ich zu „mir“ sage, und andererseits dadurch, wie ich es sage.
Dieses lebendige Gegenüber zu werden, bereit und interessiert an der Begegnung im Innern, ist einer der Schlüssel, um sich neu zu finden.
„Was“ ich sage handelt im Focusing um Begegnung, Vertiefung, Dialog. Dies sind Dinge, die ich leicht verstehen und mir aneignen kann. Dies ist etwas, was ich im Focusing-Unterricht lerne.
„Wie“ ich in der Stille, im Geist, spreche, das hängt von meiner Erfahrung ab und von meiner Entwicklung; „wie“ und in welcher Tiefe ich also in Beziehung treten kann.
Je mehr Erfahrung ich habe, desto klarer wird meine zweite, innere Stimme sein, desto mitfühlender, wissender, liebevoller, leichter, natürlicher, anstrengungsloser, lassender und angstfreier; aber nicht nur das: Meiner Erfahrung nach wird die Stimme auch deutlicher, sich selbst bewusster, und sie füllt mehr Raum aus bzw. erschafft den Raum.
Worte, die möglich werden
Sie erkennen diese Entwicklung vielleicht auch daran, dass neue Worte in Ihnen auftauchen, die vorher nicht möglich waren. In meinem Fall zum Beispiel das Wort „Liebe“ oder „liebevoll“. Erst nach Jahren des Sammelns von Erfahrung fing dieses Wort an, wirklich Sinn zu machen, sich echt und richtig anzufühlen und es wurde möglich, es auch auszusprechen: „Ich nehme mir Zeit, diese Liebe und Wärme im Herzen wahrzunehmen“.
Auch in der Begleitung von Focusing-Prozessen wird solch eine Entwicklung deutlich und hörbar. Dort, wo vorher eine unsichere, zugespitzte, konfuse Stimme war, die einfach „irgendetwas“ für den anderen reflektiert, tritt langsam aber sicher eine Stimme, die warm, zugewandt, offen, interessiert und vollkommen ruhig ist – ohne etwas tun zu müssen, sein zu müssen oder erzeugen zu müssen.