Das Leben in den Erwartungen Anderer fängt früh an. Als Vater weiß ich: Ich habe immer Erwartungen an mich und an mein Kind. Ein Schlüssel zur Befreiung daraus ist die Frage: „Was passiert, wenn eine Erwartung nicht erfüllt wird?“. Gelingt es mir, meine Erwartungshaltung zu erkennen, diesen starren Druck, und wieder neugierig zu werden auf das, was und wer (stattdessen) eigentlich da ist und sein möchte?
In den Focusing-Sitzungen in meiner Praxis sehe ich öfters die Ergebnisse eines Lebens in den Erwartungen Anderer, genauer gesagt: ein Leben in den starren Erwartungen. Erwartungen, die sich nicht wandeln. Erwartungen, die abschneiden und dazu führen, jemanden nicht mehr neu kennenlernen zu wollen.
Die Kosten der Anpassung
Lebe ich in solchen Erwartungen, dann geht es darum, mich anzupassen: Ich lerne, Teile von mir selbst zu ignorieren, zu unterdrücken, um so tun zu können „als ob“ ich den Erwartungen entspreche.
Hinter diesem Leben, das sich jahrelang richtig anfühlen kann, lauert Trauer und Wut und der Wunsch, wirklich gesehen zu werden bzw. die fortwährende Angst und Verunsicherung, wie ich denn zu sein habe, um akzeptiert zu sein.
Immer auf der Hut zu sein ist anstrengend. Diese Anstrengung erscheint im Focusing gern als erstes, in Form von Spannungen, zum Beispiel im Bauch, im Kopf, den Schultern; in Form von einem Gefühl der Schwere, des Klebrigen, Sumpfigen; oder auch dem Gefühl, dass mir etwas Schweres aufgebürdet wurde, das ich jetzt tragen muss - auf den Schultern, im Herzen, im gesamten Körper.
Mir selbst fremd zu sein
Nicht mehr den Bildern und Erwartungen Anderer entsprechen zu wollen ist ein Prozess, in dem dieser Zwiespalt schmerzlich sichtbar wird. Einerseits die Anstrengung, das Verleugnen und das Zusammenreißen, um einem Bild ähneln zu wollen, welchem ich gar nicht entspreche. Andererseits mir selbst fremd geworden und gleichzeitig auf der Suche zu sein; auf der Suche nach den vergrabenen und wie tot erscheinenden Aspekten meiner Selbst, und in der vagen Hoffnung, mich wieder lebendig und echt zu fühlen.
Der Körper als erster Anker, wieder zu mir zu kommen
Von der ersten Focusing-Sitzung an wird meist klar: Auf diese Weise ist es leicht zu mir zu kommen und aufzutauchen aus all-dem „Anderen“. Einfach im Körper zu verweilen, ohne etwas tun oder ändern zu müssen; ohne einem „anderen“ zu genügen; ohne mich erklären zu müssen.
Kein Eingreifen von Außen
Im Focusing brauche ich nichts zu verändern, sondern finde vor, wie es sowieso schon ist – all die Jahre der Anpassung; all die Gefühle, die gesehen werden möchten; und das Neue, mir fremde Eigene, welches es zu entdecken und einzuladen gilt. (Natürlich auch all die Ansprüche, Erwartungen, Bewertungen.)
Die Voraussetzungen stimmen, um all diese Aspekte kennen zu lernen, ohne mich weiter darin zu verstricken; denn im Focusing wird nicht mehr wie gewohnt von außen eingegriffen; und der wichtigste Grundsatz ist es, immer selbst prüfen zu können, was sich passend und was sich unpassend anfühlt.