Gefühle oder Gedanken werden als „unerwünscht“ gebrandmarkt, wenn diese nicht ins Bild passen oder als gefährlich erlebt werden. Dies ist ein oft grundlegender Konflikt in Bezug auf eine ganze Reihe von Gefühlen und deren Ausdruck, zum Beispiel Wut und Ärger. Die Lösungsversuche bescheren Ihnen zusätzlich einen unangenehmen Zustand – und es gibt neben den gewohnten Strategien, eine schnelle Lösung zu finden oder zu verleugnen, eine weitere Option, die ich hier gerne darstellen möchte.
Wenn Ihr Ärger ein unerwünschter Bote im Innern ist, so fängt dieser an, in einem merkwürdigen Zwischenraum zu existieren. Sie können den Ärger nicht ausdrücken, und es ist auch nicht möglich, ihn beiseite zu legen.
Sie spüren den Ärger, er darf jedoch keine Rolle spielen. Sie möchten vielleicht, dass ihr Gegenüber Ihren Ärger spürt und darauf reagiert, tun gleichzeitig jedoch alles dafür, dass Sie nicht ärgerlich wirken.
Der Ärger ist unterschwellig da und dadurch weder befreiend noch klärend. Stattdessen entsteht Unsicherheit, Angst vor Entdeckung, sowie der Druck, dass etwas nicht stimmt.
Lösen und Verleugnen: Ergebnisorientierung
Zwei gewohnten Strategien, mit unerwünschten Gefühlen umzugehen, sind Lösen oder Verleugnen. Es sind beides Reaktionen darauf, dass ein als gefährlich oder unerwünscht erachtetes Gefühl auftaucht.
Reaktionen dieser Art sind immer automatisch, blitzschnell und alles daran scheint „wahr“ zu sein: Erlebe ich solch eine Reaktion gegenüber meines Ärgers, so bin ich überzeugt davon, dass der Ärger wirklich schlecht oder gefährlich ist und alle weiteren Maßnahmen deswegen sinnvoll und gut.
Beide Strategien haben dabei nur eine Richtung: Weg vom Gefühl zu kommen.
Lösen - ein Teil in mir, der fordert: Wenn du dieses Gefühl schon hast, dann musst du auch sofort eine schnelle Lösung parat haben. Anstatt des Gefühls soll eine Lösung her. Es entsteht Druck: Mach doch was! Du tust nicht genug. Jetzt muss sich doch mal etwas tun. Es ist deine Schuld.
Verleugnen - ein Teil in mir, der das Gefühl entkräftet, rationalisiert, für unwichtig erklärt. Das Gefühl wird weggewischt oder unter den Teppich gekehrt. Dieses Gefühl ist nicht annehmbar, schlecht, führt zu nichts.
Beide Reaktionen sind zudem miteinander verbunden. Gelingt es nicht, eine sofortige Lösung zu finden, so wird das Gefühl verleugnet. So bin ich nun nicht nur ärgerlich, sondern auch noch selbst schuld.
Gibt es eine dritte Option, die nicht als Reaktion verstanden werden kann, die also …
nicht automatisch abläuft?
nicht blitzschnell funktioniert?
nicht sofortige Wahrheit fordert?
nicht auf Lösung oder Verleugnung aus ist?
Eine dritte Möglichkeit entsteht im Focusing. Durch die sorgfältige und mitfühlende Beschreibung des Erlebens entstehen zwei wichtige Faktoren für einen anderen Umgang mit den Gefühlen und den durch sie ausgelösten Reaktionen.
Verlangsamen
Zum einen wird mein Vorgehen verlangsamt. Ich benötige Zeit, zu fühlen was ist. Ich benötige Zeit, das Gefühlte in Worte zu fassen. Die Worte, die ich für das Erleben finde, werden mir im Focusing gespiegelt, sodass ich prüfen kann ob die Beschreibungen passend sind. Durch eine Beschreibung und die hohe Aufmerksamkeitsqualität fangen die Gefühle und Reaktionen an, sich zu wandeln.
Differenzieren
All dies braucht Zeit, und es entsteht der Eindruck, immer klarer sehen zu können. Dies ist der zweite Faktor, die Differenzierung. Je langsamer und sorgfältiger ich vorgehe, desto deutlicher heben sich die unterschiedlichen Prozesse voneinander ab. Hier ist zum Beispiel das Gefühl des Ärgers. Unmittelbar darauf taucht etwas in mir auf, dass dieses Gefühl als gefährlich einstuft und nach der Regel „Du darfst nicht ärgerlich sein“ lebt. Hinter dieser Reaktion steht die Sorge, beschämt und ausgeschlossen zu werden.
Körper
Im Focusing sind dies nicht nur luftig-abstrakte, sondern körperlich-gefühlte Erkenntnisse. Ich merke dies daran, dass sich etwas in mir verstanden fühlt, ein Gefühl einfach so sein kann wie es ist, sich eine Leere auffüllt, ein Puzzleteil an den richtigen Platz fällt, Erleichterung eintritt, Entspannung entsteht, Sie durchatmen, …
Konkret bedeutet dies, dass zum Beispiel das Gefühl des Ärgers – wenn diesem wie oben beschrieben wirklich begegnet wird – wieder als lebensbejahend wahrgenommen werden kann. Dies ist wichtig, weil Sie dringend benötigte Lebensenergie zurückbekommen und die Kraft bekommen, Grenzen zu setzen oder eigene Wünsche zu formulieren.
Lassen
Können Sie verlangsamen und differenzieren, so können Sie ein Gefühl im Innern einfach lassen, wie es ist; und Sie sehen, wie alles Weitere damit beschäftigt war, Sie vor einer heute meist vermeintlichen und früher meist realen Gefahr zu schützen, z.B. beschämt und ausgeschlossen zu werden.
Sie haben eine dritte Möglichkeit entdeckt: Zeit zu verbringen mit dem, was ist, ohne weiter einzugreifen und verändern zu wollen.