Dunkel und schwer – so fühlen sich Teile im Innern gerne an, wenn sie Belastungen ausgesetzt sind. Schuld ist ein Beispiel, wie die Atmosphäre im Innern, unser Gefühl von uns selbst, niedergedrückt wird. Bei genauem Hinsehen fühlen sich besonders die Teile belastet, die zuerst einmal aktiv und aggressiv auftreten und kritisieren, Regeln aufstellen oder Druck machen. Wie können wir dies genauer verstehen – und vor allem: Wie können wir zur Entlastung beitragen?
Die Arbeit mit dem sog. Inneren Kritiker hat mir dabei die Augen geöffnet. Der innere Kritiker ist oft ein sehr belasteter Teil. Nicht nur, dass er angefeindet wird für das, was er versucht im Innern zu tun, er hat auch etwas für uns getan, was wir vergessen haben: Er hat Verantwortung übernommen in einer Situation, in der es keine richtige und stimmige Lösung geben konnte.
Die unbeliebten Teile
Teile in uns, die jetzt gerade kritisieren, sind normalerweise unbeliebt. Es ist leicht, sich als Opfer zu fühlen und an der Oberfläche des Geschehens hängen zu bleiben. Lade ich einen kritisierenden Anteil dagegen ein, ihn näher kennenzulernen, so werde ich neben der Sorge und Angst um mich vor allem eins feststellen: Dieser Teil hat so lange und so viel versucht für mich zu kämpfen und mich zu beschützen, dass es ungemein entlastend ist, wenn endlich jemand auftaucht, er unvoreingenommen zuhören kann.
Ihre Beziehung zum inneren Kritiker
Nehmen Sie zum Beispiel einen Ihrer inneren Kritiker. Vielleicht sind Sie in einer dieser zwei Stadien mit ihm:
Sie können die Kritik oder die Attacke gar nicht in Worte fassen oder wahrnehmen. Sie spüren aber, wie Sie sich wertlos, beschämt, abgewertet oder „nicht genug“ fühlen.
Sie können den inneren Kritiker schon wahrnehmen als separate „Stimme“ oder Attacke in Ihnen und Sie verachten oder hassen diesen Anteil von sich. Sie tun alles, um diesen Anteil als etwas Schlechtes in Ihnen loszuwerden, besser zu machen oder zu ignorieren.
In beiden Fällen ist es unmöglich für diesen Anteil in Ihnen, entlastet zu werden. Niemand ist da, der unvoreingenommen zuhören kann. Niemand ist da, um den Anteil aus seiner Verantwortung zu entlassen. Niemand ist da, der versteht, wie schwer diese Verantwortung wiegt, für einen Menschen in einer schwierigen Situation zu sorgen.
Teile aus der Verantwortung entlassen
Erst wenn ich es schaffe, solche einen Anteil aus der Verantwortung zu entlassen, dann kann spürbare Entlastung entstehen. Welche Teile sind das zum Beispiel? Wie wäre es mit …
… ich muss es erst allen Anderen recht machen, bevor ich für mich selbst sorgen darf.
… ich darf meine Lebendigkeit und meine Wut auf keinen Fall zeigen.
… ich muss in einer Beziehung ausharren, egal wie schlecht es mir geht.
… ich darf keine Pausen machen, das ist nur blödes Herumsitzen.
… ich muss immer irgendetwas tun. Mich nur zu spüren ist Blödsinn und führt zu nichts.
Können Sie die Belastung nachfühlen? Hier wird Verantwortung übernommen, um sich zu schützen vor Bestrafung, Ausgrenzung oder Entzug einer wichtigen Ressource, Liebe und Anerkennung. Ein Teil in Ihnen hat diese Verantwortung übernommen, hart und krass – genau wie die Situation, in der diese Überlebensstrategie zu entwickeln vonnöten war.
Auftauchen aus dem Leid oder der Kontrolle
Es gibt keinen Zauberspruch, der alles schnell „gut“ macht. Im Focusing stellt sich aber die Erkenntnis ein, dass je mehr ich einen kritisierenden Teil in mir anschauen mag, je mehr ich diesen in Worte fassen kann und fühlen kann, wie es diesem geht … desto mehr wird deutlich, dass jetzt endlich jemand DA ist.
Immense Erleichterung
Was schwer in Worte zu fassen ist, wird in der Praxis des Focusing oft einfach als immense Erleichterung wahrgenommen. Wird diese Erleichterung dann in ihrem Entstehen wahrgenommen und weiter unterstützt, so kommen Prozesse in Gang, die das Muster der Kritik im ganzen Körper entlasten: Spannungen fangen an abzufallen, meist zuerst im Bauch, in den Schultern, im Nacken oder in den Armen und Beinen. Meist wird es dann heller anstatt dunkler, leichter anstatt schwerer und verbundener anstatt abgeschnitten und unterbrochen.
Am Ende steht ein Mensch, der die Situation damals hier und jetzt überlebt hat und mit den Anteilen Frieden geschlossen hat, die aus der Situation heraus als „unangenehmer“ und notwendiger Schutz entstanden sind; jemand, die sich nicht weiter als Opfer sieht, sondern als jemand, die Empathie und Solidarität für die eigenen Anteile erworben hat.