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Nr. 175 – „Du bist egoistisch“

„Du bist egoistisch“ – ein weit verbreiteter Satz, der im Focusing wieder und wieder schmerzhaft hör- und fühlbar wird. Es ist ein Satz, der dem Focusing diametral entgegen zu stehen scheint, wird dem Menschen doch abgesprochen, für sich selbst sorgen zu dürfen. Diese Abwertung „egoistisch“ und all die damit zusammenhängenden Gefühle und Gedanken werden manchmal nur durch das Lauschen nach Innen ausgelöst. Denn ist sich selbst in Ruhe zuzuhören nicht völlig egoistisch, von Schwäche geprägt und außerdem zu nichts gut?


Das Wort „egoistisch“ kommt im Focusing gerne ganz unauffällig auf Zehenspitzen in den Raum hinein, getarnt als harmlose Beschreibung eines Erlebensanteils. Dies kann zum Beispiel ein Teil sein, der sich grundsätzlich für das eigene Wohlbefinden einsetzt und


  • etwas nicht mag und jemandem eine Grenze setzen möchte.

  • etwas gerne mag und sich dafür öffnen und dies erleben möchte.


Im Focusing höre ich dann, wie gegen die Wand gefahren, folgende Beschreibung: „Ah, da ist wieder der Teil in mir, der immer so egoistisch ist“.


Ohne es zu bemerken, ist die Sprecherin verschmolzen mit einem Anteil, der abwertet, abtut oder auch lächerlich macht.

Wissen, was richtig und stimmig ist


In Wirklichkeit hat dieser Teil einfach eine Verbindung zu dem, was sich stimmig und richtig anfühlt; und dies drückt sich in dem Wissen aus, wohin ich mich öffnen möchte und wovor ich mich lieber entfernen und verschließen möchte.

Dieses Wissen hat keinen Druck, keine Dringlichkeit; es ist einfach da und könnte wahrgenommen und ausgedrückt werden – wäre da nicht die sofortige Abwertung „egoistisch“.


Abwertende Anteile, die das Wort „egoistisch“ benutzen

Dieser abwertende Anteil ist immer der, der beispielsweise sagt:


  • „Du bist egoistisch.“

  • „Auch wenn dich das langweilt oder anstrengt, bleibe hier und höre dir das weiter an.“

  • „Es ist wichtig, dass es deinem Gegenüber gut geht. Wie es dir geht ist unwichtig!“

  • „Sorge erstmal für alle anderen.“

  • „Was du empfindest ist irrelevant.“

  • „Deine Bedürfnisse und Gefühle stören.“


Habe ich diese Bewertung für mich zu 100% übernommen, so ist diese Kritik für mein Empfinden wahr und richtig. Ich beschreibe dann aus diesem Kritiker heraus mein Wissen, was richtig und stimmig für mich wäre, als „egoistisch“. Die Welt, in der meine Gefühle nicht sein dürfen


Ich bemerke dann nicht mehr, dass die vermeintliche Beschreibung eine Bewertung enthält; und so bleibe ich (trotz meines Zuhörens im „Focusing“) in der Welt, in der es Wünsche, Gefühle, Bedürfnisse von mir gibt, die nicht so sein dürfen wie sie eben sind – weil sie angeblich „egoistisch“ und damit wegzudrücken, abzutun und zu ignorieren sind.


Aufmerksam sein

Bleiben Sie also wach und aufmerksam, welche Beschreibungen Sie hören – wenn Sie sich selbst begleiten oder im Focusing-Tandem miteinander arbeiten.


Es lohnt sich, gerade gewohnte oder „alte“ Beschreibungen zu überdenken und sich zu fragen: Was schwingt hier mit? Ist hier eine Abwertung mit ihm Spiel? Wird hier Druck aufgebaut?

Oder grundsätzlicher: Darf dieses Erleben sein? Darf ich es in Worte fassen? Darf ich es in meinem Körper spüren? … und wenn nicht, dann neugierig darauf zu werden, was da ist, das verbietet (und nicht abzuwerten :-).

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