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Tipps & Tricks Nr. 96 – Flut und Ebbe: Wie starke Emotionen begleitet werden können

Der Verlauf der Intensität eines Gefühls folgt meistens einem immer gleichen Muster: Kaum merklich fängt es an, steigt dann immer weiter (oft dramatisch) an; erreicht bald einen Höhepunkt und bleibt dort einige Zeit, um dann langsam wieder abzusinken, abzufliessen und einer Stille zu weichen, die als Erleichterung oder Ruhe nach dem Sturm empfunden wird.


Gefühle können wie Gezeiten sein, Flut und Ebbe; und es kann erleichternd sein, dies zu wissen - und helfen, weniger Angst vor Gefühlen (also ein Gefühl über Gefühle) zu haben.


Wenn solch eine Welle von Gefühlen im Raum der Aufmerksamkeit eines Focusing-Partners entsteht, so ist dies in erster Linie ein Zeichen von Vertrauen. Denn Gefühle können lange Zeit unterdrückt werden. Wie ein geschlagener Hund brauchen Sie lange Zeit, um wieder Vertrauen zu fassen.


Wenn starke Gefühle auftauchen und ich bin in der Rolle des Begleiters, so besteht meine direkte Reaktion aus verschiedenen Aspekten.


3 Aspekte meiner Begleitung

Zum einen freue ich mich, denn ich weiß wieviel Vertrauen nötig ist, damit verletzte Gefühle sich zu zeigen wagen.


Zum anderen konzentriere ich mich darauf, die Person einzuladen und zu unterstützen, nicht nur das Gefühl selbst, sondern sich selbst wahrzunehmen - weil ich weiß wie wichtig es für das Gefühl ist, ein echtes Gegenüber in der eigenen Person zu haben.


Ich benutze dafür die Präsenzsprache und viele andere Techniken, die helfen eine Beziehung zwischen der Person und ihrem Gefühl herzustellen.


Zum dritten reflektiere ich, insbesondere bei »Flut«, mehr die Intensität und Wichtigkeit des Gefühls als dessen Inhalt.


Das Modell von Flut und Ebbe

Mir hilft es in der Begleitung starker Emotionen, das Modell von Ebbe und Flut bzw. einer ansteigenden und absteigenden Welle bewußt zu nutzen:

  1. Kaum merkbar oder ansteigend, sich formend Kontaktnahme Ich unterstütze dabei, das Gefühl zu beschreiben, willkommen zu heissen und zu bestätigen

  2. Starke Emotion In gutem Kontakt bleiben (Präsenz) Ich unterstütze die Person, zuerst sich selbst und von dort aus auch das Gefühl wahrzunehmen; die Intensität des Gefühls anzuerkennen; die Leistung des Gefühls anzuerkennen

  3. Abnehmende Emotion Wertschätzen und Nachspüren Ich unterstütze die Person, das Echo der Emotion im Körper auszukosten, die einkehrende Ruhe wahrzunehmen, neue Zusammenhänge zu sehen - und einen Felt Sense zu spüren: etwas in dir, welches sich so fühlt.

Aus der Perspektive von Focusing ist der Schritt 2 besonders wichtig, weil sich hier die Person und das starke Erleben eines Gefühls gegenüber stehen: Wirkliche Präsenz und Beziehung kann entstehen, wenn diese Phase richtig genutzt wird - das Gefühl darf da sein und mich bewegen; ich habe keine Angst und spüre die eigenen Kraft.


Wenn der zweite Schritt gelingt, dann lernt es, dass es endlich ein Gegenüber hat und kann dadurch anfangen zu vertrauen, dass endlich genügend Stabilität und Empathie für es vorhanden ist.

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