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Tipps & Tricks Nr. 26 – Ich strenge mich an, um „gut“ zu sein

In einer Übungsgruppe wird folgende Frage gestellt:


„Ich bemerke neuerdings, dass ich mich beim Begleiten anstrenge, um gut zu sein. Ich habe mir deshalb in der letzten Sitzung die Freiheit genommen, mich selbst während der Begleitung stärker wahrzunehmen und zu klären. Ich habe sozusagen ein Mini-Focusing mit mir selbst gemacht und während der Begleitung ein paar treffende Beschreibungen auf ein Blatt Papier notiert. Danach konnte ich wieder besser, ohne so viel Anstrengung, begleiten. Ich bin mir trotzdem unsicher, ob das eine gute Idee ist, weil ich ja nicht meine volle Aufmerksamkeit bei der Person hatte, die ich begleitet habe.“


Herzlichen Dank für diese Frage! Ehrlich gesagt kann ich es nur begrüssen, wenn Sie sich die Freiheit nehmen in der Begleitung auf sich selbst zu achten, sich selbst zu klären und für sich selbst zu sorgen.


Durch sich selbst hindurch

Ich finde, dass es ein Missverständnis wäre, würden Sie ausschließlich auf die andere Person achten wollen. Ganz im Gegenteil ist es meine Erfahrung, dass der spezielle Raum des Zuhörens im Focusing dadurch entsteht, dass Sie mit sich selbst verbunden sind. Sie nehmen die andere Person (oder egal welche Situation) durch sich selbst hindurch wahr. Eines der wichtigsten Hilfsmittel ist dabei Ihr Körper: Sie nehmen eine Situation mithilfe ihres lebendigen, sich selbst spürenden Körpers – durch den Körper - wahr.


Präsenz in der Begleitung

Die primäre Aufgabe in der Begleitung ist es, mit sich selbst verbunden zu sein. Sie könnten auch sagen: Mit sich selbst im Reinen zu sein. Sich selbst wahrzunehmen. Mit sich selbst in Präsenz zu sein.


Dies sind verschiedene Aspekte des tiefen Zuhörens im Focusing. Zuhören ist nicht ein aus-sich-selbst-Hinauslehnen, quasi ein nur-bei-dem-Anderen-sein. Zuhören passiert; es passiert, wenn Sie selbst in einem aufgeräumten Zustand sind. Sie hören automatisch zu, wenn Sie frei und offen sind – und nicht getrieben, geteilt, gepresst, geschnürt... oder eben angestrengt.


Gut, nicht mehr gut zu sein

Aus meiner Sicht haben Sie also genau das Richtige getan, indem Sie sich geklärt haben und Kontakt aufgenommen haben mit etwas in Ihnen, dass sich im Moment gerade so anstrengt .... um gut zu sein.


Ich sage damit übrigens nicht: Arbeiten Sie daran, dass diese Anstrengung aufhört. Wenn Sie in Präsenz sind, dann sind Sie nicht mehr in der Anstrengung verhaftet. Und „gut“ zu sein heißt in Ihrem Fall vielleicht „immer nur bei der anderen Person“ zu sein und „nie bei mir“. Indem Sie sich „die Freiheit genommen“ haben, haben Sie diese Logik von „gut“ und „schlecht“ schon bezwungen. Nichts davon muss „weg“ oder „anders“ sein, wenn Sie selbst präsent sind.

Insofern: Gut gemacht :)


Relevanz im Alltag

All dies hat auch Relevanz für Ihren Alltag. Es gibt diese schöne Phrase „Moment mal!“, die ich auch in der letzte Übungsgruppe gelernt habe. „Moment mal ...“ – da habe ich mich selbst erkannt, erwischt.

MOMENT MAL ...

  • ... warum strenge ich mich in diesem Gespräch so an?

  • ... wie kommt es, dass ich immer weitere Fragen stelle, um dieses Gespräch am Laufen zu halten, obwohl es mir nicht gut tut?

  • ... wieso fühle ich mich direkt nach einem Gespräch plötzlich schlecht, während des Gesprächs habe ich aber nichts bemerkt?

  • ... was führt dazu, dass ich sofort „Ja“ gesagt habe und nicht „Nein“? Wieso habe ich nicht um etwas Bedenkzeit gebeten?

All diese Fragen haben immer einer Antwort: Weil ich mich in dem Moment nicht mehr gespürt habe. Oder falls ich mich doch gespürt habe, habe ich mir nicht erlaubt, danach zu handeln. Sich selbst zu klären, sich die Freiheit zu nehmen ... das ist auch im Alltag ein wichtiger Effekt von gründlich geübtem Focusing.

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