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Nr. 209 – Das Gefühl VOR der Verletzung


Heute durfte ich eine Focusing-Sitzung begleiten, in der es um ein ganzes Leben ging. In diesem erfüllten, arbeitsreichen Leben gab es ein wichtiges Bedürfnis: Das Bedürfnis nach Kontrolle und Anpassung.


Jetzt, kurz nach der Pension, gibt es immer noch dieses Bedürfnis nach Kontrolle - aber es gibt keine zu kontrollierenden Projekte, keine herausfordernde Arbeit und kein Mobbing mehr.


Stattdessen entsteht die Erkenntnis: Ich habe meine ganze erfolgreiche Karriere, ja mein ganzes Leben sogar, auf diesem einen Bedürfnis nach Kontrolle aufgebaut.


Die Fähigkeit, sich zu kontrollieren war in diesem Leben ein Meilenstein der Entwicklung und das Ergebnis massiven Mobbings.


Viele Focusing-Sitzungen verbrachten wir damit, wie schmerzhaft es war, sich bis in die eigenen Körperregungen und -bewegungen hinein zu kontrollieren, um nicht aufzufallen, um sich anzupassen und gemocht zu werden.


Ja, die Arbeit mit dem Schmerz war ein wichtiger Schritt. Heute aber ging es darum, wozu die Kontrolle eigentlich sinnvoll war: Sie war da, um Sicherheit herzustellen, einen geschützten Raum, koste es was es wolle.


Als ich dann einlade zu erspüren, ob es hier und jetzt einen Teil gibt, der sich zeitlich VOR all dem Mobbing und VOR den Verletzungen sicher und gut gefühlt hat, war die Antwort eindeutig: Ja! Als ich 8 Jahre alt war. Ich war so glücklich und fühlte mich gut und sicher... und es gibt so viele Erinnerungen daran.


Das Lebensgefühl des Jungen füllt den älteren Mann aus, der mir auf Skype gegenübersitzt. Es ist eine köstliche Freude, ein wunderbares Erlebnis. Es kommen innere Bilder von dem Jungen und der Körper spürt in diesem Moment all das von "damals" und wie sicher es war ... und ist.


Ja, all das ist nach wie vor lebendig und wohnt in mir! So wie der Schmerz ganz am Boden der Fühlprozesse im Focusing transformieren und bewegen kann, so kann auch eine Freude, eine Liebe, eine Sicherheit, eine Neugierde, eine Hoffnung ins Leben kommen, von der wir gar nichts mehr wussten.


Gefühle, die einfach so waren, mit denen wir geboren wurden; .... und von denen wir annahmen, sie seien verletzt, kaputt, nicht mehr erreichbar.


Jetzt, nach all der Arbeit, ist es möglich geworden: Ohne den Schmerz zu verleugnen oder zu verstecken ist es möglich, die Qualitäten des Lebens und die Gefühle VOR all den Verletzungen, hier und jetzt, im Körper zu spüren.


Geschafft: Wir haben Verletzung und Gefühl endlich voneinander getrennt. Jetzt haben wir doppelt so viele Möglichkeiten, und eine davon ist die "Arbeit" mit dem strahlenden, füllenden, unverletzten Gefühl.

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