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Tipps & Tricks Nr. 61 – Wie kann ich Vorurteile durch eine offene Haltung ersetzen?

Jemand stellt folgende Frage:


„Ich merke, dass ich oft schnell eine feste Meinung und Vorurteile über bestimmte Personen habe, die dann entweder ‚gut‘ oder ‚schlecht‘ sind. Gleichzeitig fühle ich mich selbst schlecht, dass ich Menschen so über einen Kamm schere. Wenn ich Focusing richtig anwenden würde, müsste ich dann nicht von Beginn an viel offener sein? Muss ich nicht meine Vorurteile durch eine offene Haltung ersetzen?“


Vielen Dank für diese Frage. Es ist verlockend zu denken, dass Sie Vorurteile und Bewertungen einfach durch eine andere, „bessere“ Haltung ersetzen können.


Wenn ein kritisierender Prozess sich „Präsenz“ zu eigen macht

Dies passiert auch öfter im Focusing: Es ist ein verführerischer Gedanke, einfach jede störende Haltung (also z.B. ein Vorurteil) durch eine „offene Haltung“ ersetzen zu wollen. Meiner Meinung liegt hier allerdings ein Fehler vor.


Die Einteilung in „gut“ und „schlecht“ findet ja in Ihnen tatsächlich statt; genau wie die Verfestigung dieser Bewertung in einem Vorurteil. Wenn Sie diese Haltung durch Offenheit (oder fälschlicherweise als „Präsenz“ bezeichnet) ersetzen möchten, dann haben Sie ein Detail übersehen: Aus der Sicht von Focusing haben nicht Sie selbst diese Vorurteile, sondern „nur“ etwas in Ihnen hat im Moment Vorurteile - inklusive der damit zusammenhängenden Wünsche und Ängste.


Beginnen, sich wirklich zu interessieren

Aus dieser Sicht heraus brauchen Sie also gar nichts bei sich selbst zu ersetzen. Das einzige was Sie brauchen ist es, zuzuhören. Und dies bedeutet, dass Sie sich dafür zu interessieren beginnen, was diese Vorurteile und Bewertungen eigentlich genau sind. „Ich nehme mir Zeit, diesen Aspekt einzuladen, mir endlich einmal all seine Vorurteile mitzuteilen. Alles, egal wie extrem oder kontrovers sie sein mögen. Ich möchte das alles hören.“


Focusing ist nicht political correct

Focusing ist nicht political correct. Im Focusing sind Sie an allem interessiert, an allen Meinungen und Sichtweisen. Warum? Wie Sie mit der Zeit genug Vertrauen entwickelt haben, dass in Ihnen nichts unterdrückt werden muss und jeder Aspekt in Ihnen einen konstruktiven Beitrag versucht zu leisten. Sie haben verstanden, dass es immer und immer darum geht, zuzuhören, um zu verstehen und um neue Entwicklungen zu ermöglichen.


Ein offenes Gespräch

Ich habe über die Jahre viele Menschen (inklusive mir selbst) kennengelernt, die in bestimmten Phasen Ihres Lebens Ihre Vorurteile, Ihre Wut, Ihre Hilflosigkeit, Ihre Liebe nur versuchen im Focusing zu managen, aber noch niemals wirklich nachgefragt und zugehört haben: „Worüber bist du eigentlich so wütend? Was sind deine Urteile? Wie weit würdest du gehen in deinen Bewertungen? Was ist es wirklich, was du liebst? Wie hilflos fühlst du dich wirklich? Kannst du das in Worte fassen?“


Focusing ist die einmalige Chance, ein offenes Gespräch in dieser Art miteinander zu haben. Wenn Sie zuhören können, dann werden Sie automatisch offener - ohne irgendetwas in Ihrer Haltung als „schlecht“ zu empfinden und ersetzen zu wollen. Sie können dann sehen: „Oh, da ist etwas so überwältigt mit diesen Bewertungen … Es ist so wichtig für es zu bewerten und zu verurteilen … und ich nehme mir Zeit, alles aber auch alles anzuhören, so wie es für es ist.“


Auch in Ihren zwischenmenschlichen Beziehungen werden Sie dann Veränderungen bemerken. Denn wenn Sie selbst nicht die Vorurteile haben müssen („Ich …“), sondern Sie im Kontakt damit sind („Etwas in mir …“) – höchstwahrscheinlich ist dann da noch mehr … und Sie kommen auch mit anderen, öffnenden Aspekten in Kontakt, zum Beispiel wie etwas in Ihnen ängstlich ist, sich verletzlich fühlt, sich etwas wünscht oder unglaublich gerne Kontakt haben würde.

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