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Tipps & Tricks Nr. 27 – Ist Focusing effektiv?

In einem Vertiefungspaket kommt folgende Frage auf:


„Ich bin es aus der Verhaltenstherapie und in meiner Arbeit gewohnt, klare und strukturierte Fragen zu stellen; und am Focusing interessiert mich besonders, einfach mit dem inneren Erleben verbunden zu sein. Trotz meines Interesses an Focusing, schalte ich aber in manchen Situationen innerlich einfach ab, wenn ich solch einen Prozess begleite. Was in mir passiert ist, dass ich einfach nicht verstehe, was dort gesagt oder gemacht wird. Focusing kommt mir in solchen Momenten dann unglaublich uneffektiv und unzusammenhängend vor. Wie kann ich Focusing besser verstehen, sodass mir das nicht mehr so häufig passiert?“


Herzlichen Dank für diese Frage. Es gibt mindestens zwei Perspektiven, die ich für die Betrachtung Ihrer Fragestellung wichtig finde.


Persönlich: Sicherheit und Orientierung

Einerseits die Frage, ob und wie es einen Anteil in Ihnen gibt, der Effektivität und klare Fragen braucht, um sich sicher und orientiert zu fühlen. Anders gesagt: Sobald es erst einmal vage und unklar wird in einem Focusing-Prozess entsteht das Gefühl von Unsicherheit und die Frage: „Ist dies überhaupt effektiv?“


Ich finde es wichtig zu wissen, in welcher Phase sich ein Focusing-Prozess befindet. Zum Beispiel gibt es Phasen, in denen ich am suchen und ausprobieren bin. Auftauchende Gedanken, Bilder oder Gefühle sind noch unklar oder wirken unzusammenhängend. In dieser Phase können starke Gefühle von Unsicherheit oder Spannung auftauchen. In einer anderen Phase fällt dann alles an den richtigen Platz. Es entsteht Klarheit und eine eindeutige Richtung mit dem entsprechenden Gefühl von Erleichterung. Wenn Sie sich dieser Phasen und ihrer unterschiedlichen Dauer bewußt werden, ist die Unklarheit besser auszuhalten und der Sinn dieser Phase besser zu verstehen.


Außerdem scheint es mir wichtig zu sein, dass Sie es bemerken, sobald Sie alles was im Focusing passiert hauptsächlich aus der Logik von „Effektivität“ betrachten. Denn diese Logik teilt ja voraussichtlich in „effektiv“ und „uneffektiv“ ein und sortiert bestimmtes nicht „effektives“ Erleben als „schlecht“ aus. Dies würde im Focusing allerdings zu starken Einschränkungen führen; insbesondere dann, wenn hinter dieser Interpretation ein Gefühl der Verunsicherung und des Nicht-verstehens liegt. In diesem Fall wäre es schwierig für Sie, unparteiisch zu explorieren und kennenzulernen.


In solch einem Moment wäre es daher hilfreich zu probieren:

  • Den Satz „Ich verstehe einfach nicht“ in

  • Präsenzsprache umzuformulieren; „Ich nehme wahr, wie etwas in mir im Moment einfach nicht versteht“.

Diese Umformulierung bringt Sie in die Lage, in einen anderen Kontakt damit zu kommen und hilft Ihnen, auch während sie begleiten, sich zu klären und weiterhin offen und interessiert beobachten zu können. Außerdem muss das Nicht-verstehen nicht verändert werden; es ist Teil Ihres Erlebens, hat aber nicht die Meinungsführerschaft.


Methode: Ich weiß, was ich wann wozu mache

Die zweite Perspektive betrifft die Frage, wozu Focusing eigentlich einzusetzen ist – und ob es deshalb einen Konflikt mit anderen Methoden geben muss oder nicht. Effektivität ist ja nicht gleich Effektivität – denn je nachdem, was ich erreichen möchte, kann ich unterschiedliche Methoden einsetzen.


Wichtig ist daher immer: Ich weiß, was ich wann wozu mache. Können Sie diesem Satz zustimmen, dann wissen Sie

  • Was? – Welche Methode Sie verwenden

  • Wann? – Zu welchem Zeitpunkt innerhalb einer Entwicklung Sie etwas tun oder lassen

  • Wozu? – Welche Intention, welches Ziel, welches Verständnis von Veränderung Sie in diesem Fall haben

All dies beruht natürlich auf Ihren eigenen Erfahrungen und den verschiedenen Werkzeugen, die Ihnen konkret zur Verfügung stehen. Die von Ihnen beschriebenen klaren und strukturierten Fragen sind sicherlich eine wichtige Ergänzung, um auf unterschiedliche Sachlagen unterschiedlich einzugehen.


Focusing integiert anwenden

Wenn Sie also beispielsweise ein Problem haben und Sie wissen, dass Sie für die Lösung gezielte Fragen brauchen, dann wäre eine formale Focusing-Sitzung vielleicht kontraproduktiv. Sie spüren ja schon, dass es in diesem Fall eines konkret fragenden Gegenübers bedarf. Besser wäre es daher, Ihre im Focusingunterricht gelernten Fähigkeiten innerhalb der Struktur der gezielten Fragen selbst anzuwenden:

  • An welcher Stelle möchten Sie innehalten?

  • Wie vermeiden Sie es, Fragen nur schnell und oberflächlich zu beantworten?

  • Wie nutzen Sie die Fragen am besten für sich?

  • Was wird durch die Fragen noch hervorgerufen?

  • Wie bleiben Sie bei sich, auch wenn Fragen im Raum stehen?

Dieses Vorgehen kann auch auf andere Bereiche angewandt werden. Wenn Sie zum Beispiel Schwierigkeiten haben, etwas Konkretes zu tun, dann sollten Sie m.E. das Tun üben – und nicht Focusing. Focusing kann dann zwar auch eine Rolle beim Tun spielen, aber nicht das Tun ersetzen:

  • Wie genau ist es passend?

  • Wie geht es weiter?

  • Wann höre ich auf?

  • Fühlt sich das noch gut an?

Diese und ähnliche Fragen bieten sich auch an, wenn Sie Focusing besipielweise in einer Coaching- oder Meditationssitzung integriert anwenden – oder wenn Ihnen der Versicherungsmakler eine unbedingt notwendige Versicherung, nur zu Ihrem Vorteil natürlich, verkaufen will.

Seien Sie sich also klar darüber, ...

  1. dass Focusing generell dazu da ist, jenes vertieft zu tun oder zu erleben, was Sie ohnehin tun oder erleben – und deshalb nicht in Konkurrenz zu anderen Methoden steht.

  2. was genau Sie wann wozu machen (und ob dieses manchmal auch Focusing sein kann).



Eine konkrete Übung

Versuchen Sie einmal folgendes: Schreiben Sie fünf verschiedene Situationen auf, in denen Sie jeweils unterschiedliche Antworten auf die oben genannten Fragen Was?, Wann? und Wozu? haben. Sie bemerken, für welche Situationen Focusing gut ist. Ihnen wird klar, für welche Situationen Sie etwas Anderes bevorzugen – meist kombiniert mit dem Innehalten und Spüren des Focusing; und Sie entdecken, für welche Situationen Sie noch gar keine Idee haben, wie Sie damit umgehen könnten. In dem letzten Fall eignet es sich übrigens auch, das weitere Vorgehen innerhalb einer Focusing-Sitzung zu klären: "Was brauche ich, um hiermit weiterzukommen?"


Entwicklungsfragen nach einer Sitzung

Auch nach dem Abschluss einer Focusing-Sitzung lassen sich bestimmte Fragen stellen, mit deren Hilfe Sie weiter untersuchen können, was davon übrig geblieben bzw. umsetzbar ist, z.B.

  • Was ist mir klar geworden? Was habe ich gelernt?

  • Wie kann ich das, was ich erkannt habe, in einer konkreten Alltagssituation umsetzen?

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