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Tipps & Tricks Nr. 104 – Angriff aus Sorge und Hilflosigkeit

Kennen Sie das? Sie lieben einen Menschen und machen sich Sorgen um ihn – und anstatt von Ihrer Sorge zu sprechen, kommen Attacken aus Ihrem Mund; eine bunte Mixtur aus Bewertungen, Interpretationen, Erwartungen, Annahmen und vor allem: Gut gemeinten Ratschlägen.


Wenn Sie dies kennen, dann haben Sie vielleicht Kinder, um die Sie sich manchmal sorgen. Oder eine Freundin bzw. ein Freund geht durch eine schwierige Zeit und Sie möchten helfen. Oder Ihre Eltern werden langsam älter, und, wie mein früherer QiGong-Lehrer aus Hamburg so schön aus eigener Erfahrung berichtete, „Das Betreuungsverhältnis dreht sich langsam herum.“


Es kann natürlich auch sein, dass Sie nur auf der Empfängerseite solcher Botschaften stehen. Das ist dann höchstwahrscheinlich unangenehm für Sie, weil Sie sich bewertet, kritisiert, manipuliert fühlen.


Fühlen, worum es eigentlich geht

Mir selbst ist das früher, als junger Erwachsener und Student, immer mit meinem Bruder passiert; und später noch einmal, als mein Vater schwer erkrankte. Ich war unzufrieden oder unglücklich mit dem, was ich sagte, aber mir fiel nichts Besseres ein. Warum? Weil ich nicht fühlen konnte, worum es mir eigentlich ging.


Erst als ich im Focusing dazu kam, mit viel Zeit und Ruhe zu explorieren, was eigentlich in mir vorging, verstand ich dieses Phänomen, was ich heute „Angriff aus Sorge und Hilflosigkeit“ nenne. Die Mischung aus eigenen Sorgen und dem Gefühl der Hilflosigkeit ist explosiv: Etwas in mir meint, kontrollieren und kritisieren bzw. ordentlich Druck machen zu müssen.


Der innere Konflikt ist auf einmal zwischenmenschlich

Selbstverständlich führt diese Art der Kommunikation nur zu weiteren, jetzt zwischenmenschlichen Konflikten. Zudem bleibt die eigene Sorge im Verborgenen und es kommt kein wirklicher Dialog zustande. Auch der Hilflosigkeit würde es gut tun, artikuliert zu werden; nur so komme ich ja in Berührung damit, wodurch all die „guten Ratschläge“ hervorgerufen werden.


Erleichterung, wenn ein wirkliches Gespräch möglich wird

Was ich also mit der Zeit verstanden habe: Nur wenn ich meine eigenen Annahmen, Bewertungen, Erwartungen, Wünsche und Motive verstehe, brauche ich keinen Druck zu machen und kann ich wirklich hilfreich sein. Nur wenn ich meine eigene Verletzlichkeit fühlen kann, kann ich offen für eine wirkliche Begegnung sein, in der Verletzlichkeit und Ängste ins Wort kommen dürfen.


Und nur wenn ich das alles erfahre, komme ich zu dem Verständnis, dass das größte Leiden darin bestand, dass vor lauter Sorge und Hilflosigkeit kein wirkliches Gespräch und keine Begegnung mehr möglich waren – und wie gut es sich anfühlt, einfach offen miteinander zu sein und zu sprechen, egal was passiert.

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